Jennifer Rostock – ein Shitstorm

31. Januar 2013 at 14:06

Jennifer Rostock auf Facebook

Mit Verwunderung sah ich diesen Beitrag (wie immer: klicken zum Vergrößern) von Jennifer Rostock am Dienstag auf Facebook. Bisher hielt ich die Band aufgrund von Songtexten und Aussagen für alles andere als dumm. Ich rechnete fest damit das dieser Beitrag schnell verschwindet. Rund 1000 Kommentare gab es schon in den frühen Morgenstunden. Der Beitrag existiert bis heute. Jeder, der sich ein wenig in der Musikszene auskennt, konnte sich vorstellen welche Flut an Kommentaren, Postings und Recherchen folgen würde. Nur Jennifer Rostock anscheinend nicht. So tauchte schnell ein gemeinsames Foto von Jennifer mit Herrn Burger auf. Aua. Wenn ihr auch nur eines der Videos schauen würdet, die wir euch ans Herz gelegt haben, würdet ihr vielleicht hinsichtlich der Band Böhse Onkelz auf eine andere Sichtweise kommen. Hier geht es allerdings nicht darum wie ihr eine Band findet, denn das ist uns wirklich egal. Viel mehr geht es darum wie ihr eure (!) Fans behandelt. Wie ihr eure Vorbildfunktion gestaltet. Und genau diese Vorbildfunktion von Musikern liegt Stephan Weidner (@Jennifer Rostock: war Bassist und Texter bei den Onkelz) schon ewig am Herzen. Nachfolgend sein Kommentar zu eurer Aussage:

JENNIFER ROSTOCK,

was ist denn da in euch gefahren? Ihr schmeißt Leute in Onkelz-Shirts aus euren Konzerten und brüllt ihnen ein virtuelles „NAZIS RAUS!“ hinterher? Und sprecht an anderer Stelle noch vom „Bodensatz des Internets“? Normalerweise halten wir es mit der Eiche, die es nicht stört, wenn sich die Sau an ihr reibt. Wir waren und sind zu groß, als dass uns das betroffen machen könnte, auch wenn es auch im achten Jahr nach Bandende immer noch keinen Spaß macht, als Nazi abgestempelt zu werden. Ihr aber schickt mit euren Statements gleich viele Hunderttausende auf den Marsch nach Rechts und in die Asozialität – da hört die Gelassenheit auf. Unsere Fans haben sowieso keine Lobby und das liegt vor allen Dingen daran, was wir vor inzwischen 30 Jahren mal gesagt und gedacht haben sollen. Ich bin mir natürlich klar darüber, dass der Fascho-Onkelzfan keine Erfindung der AntiFa ist. Aber den meint ihr nicht, der kommt nicht zu euch. Wir haben mehr als 20 Jahre darauf verwendet, diesen Leuten in unseren Liedern, An- und Aussagen und durch diverse Aktionen klar zu machen, dass sie falsch denken. Das ist uns in tausenden von Fällen gelungen, auch wenn es „da draußen“ niemand hören möchte.

Ich würde behaupten – aus voller Überzeugung – , dass ich, dass alle meine Onkelz-Kollegen und unsere Fans mehr effektiv gegen Rechts getan haben, als ihr es jemals schaffen werdet. Das hört man nicht gern, ich weiß. Es ist eure und unsere Aufgabe als Musiker und Texter, die von tausenden jungen Menschen buchstäblich angehört werden, wichtige Werte zu vermitteln. Werte wie Toleranz, das Selbstvertrauen, die richtigen Entscheidungen zu treffen und vieles mehr. Das lernen junge Menschen seltener von Eltern und Lehrern, als von den Bands, die sie lieben. Ich weiß es, so war es bei mir auch. Ihr werft nun junge Menschen in Onkelz-Shirts aus der Halle. Was habt ihr denn für eine Vorstellung, was das für Leute sind? Kein unrettbar verlorener Überzeugungsfascho geht doch zu einem Konzert von euch. Im besten Falle seid ihr einen Fan los, im schlechtesten Falle beschert ihr einem Jungen das Schlüsselerlebnis der Ablehnung, das ihn den Braunen in die Arme treibt. Wenn du als ideologisch nicht gefestigter Fünfzehnjähriger nur oft genug hörst, dass du bei den „Guten“ nicht erwünscht bist, dann gehst du irgendwann dahin, wo du es doch bist. Und bleibst auch da, obwohl du kein Überzeugungstäter bist, sondern willkommener Gelegenheitsmitläufer, der sich von ein bisschen Kickern im Braunen Jugendzentrum schon zu einer politischen Überzeugung verleiten lässt. So schafft man eine braune Schwungmasse. Glaubt mir, ich weiß wovon ich spreche, denn wir hatten und haben Kontakt mit solchen Jugendlichen. In den meisten Fällen reicht hier das offene Wort und das persönliche Vorbild, um sie ganz schnell den Fängen der Rechten zu entreißen.

Ihr könnt euch hundertmal medienwirksam gegen Nazis engagieren – das kostet kein Geld, tut nicht weh und bringt gute Presse, ich weiß – aber eure persönliche Anti-Fascho-Bilanz wird am Ende des Tages negativ ausfallen. Denn was bringt es, in einem nazifreien Raum „Nazis raus“ zu brüllen? Außer dem guten Gefühl, das Richtige zu tun, und den sicheren, leicht verdienten Beifall der eigenen Claqueure? Nichts, genau. Eure Verantwortung hört nicht am Ende der Autogrammstunde am „Laut gegen Nazis“-Stand auf – noch ein letztes Bild für die Lokalpresse, klick – sondern fängt da erst an. Ihr könnt euch doch nicht massenwirksam gegen Rechts und für alles andere positionieren und dann, wenn die Kameras weg sind und es mal tatsächlich wichtig und konfrontativ wird, sagen „Ach ne, doch nicht“. Ein „gedrehter“ 15-Jähriger ist mehr wert als 2000 Wohlwissende, die sich am „Kein Bock auf Nazis“-Stand Handtäschchen, Handyschalen und ihren guten Geschmack unterschreiben lassen wollen. Sich gegen Rechts zu positionieren ist nie verschwendete Energie, aber man muss es auch ernst meinen, wenn niemand mehr zuschaut. Habt ihr so wenig Vertrauen in euer Publikum, eure Texte, eure Strahlkraft? Seid ihr nicht irgendwie auch Punks? Oder ist das alles doch nur Image? Verdammt, fangt an, eure Verantwortung wahr zu nehmen.

Stephan Weidner

P.S.: Wenn ihr wüsstet, wie viele gemeinsame Bekannte wir haben und wer alles Onkelz hörte oder hört – dann würdet ihr kotzen vor Scham. Es wäre spannend, ob ihr denen das „NAZIS RAUS!“ auch so engagiert ins Gesicht brüllen würdet.