Eschenbach „Alles in Allem“ Review von Dennis Diel

29. Januar 2012 at 15:32

Ibiza und Frankfurt im Winter 2011: Im heimischen Studio auf der Sonneninsel und im Studio 23 in Frankfurt betreuen und produzieren Stephan Weidner und Michael Mainx nun bereits zum zweiten Mal die drei „Eschenbacher“, um im Januar 2012 deren zweites, „Alles in Allem“ betiteltes Studioalbum veröffentlichen zu können. Im November 2009 erschien der Erstling, der auch gleich mal zeigte, was die Band um Philip Eschenbach, Riitchy Schwarz und Nils Berger ausmacht: Harte Gitarren, treibende Bässe und Drums; das Ganze garniert mit Texten, die offen und ungeschminkt anklagten und wehtaten. Die Platte war gut, keine Frage. Mit „Frag dich selbst“, „Schwarze Löcher im System“ und „Blick in den Spiegel“ hatte „Eschenbach“ sogar drei meiner All-Tim-Faves mit an Bord. Aber mir fehlte irgendwas. Irgendwas reichte mir damals noch nicht aus, um die Band in Gänze zu verstehen, und erst jetzt, rund zwei Jahre später, weiß ich auch, was es war: Der Bandspirit. Die Stücke klangen zwar alle wie aus einem Guss, aber durch die Beteiligung diverser Gastsänger (u.a. Stephan Weidner und Nina C. Alice) konnte der Eindruck entstehen, dass die Band noch nicht 100%ig zu sich gefunden hatte.

Dies ist nun anders. „Alles in Allem“ ist reif und fertig. Die Songs sind dynamisch, eignen sich zum Abgehen auf Konzerten, aber auch zum Zuhören. Die Texte sind nicht mehr ganz so düster wie auf dem Debut-Album. Es gibt wunderbare Momente, die gute Laune versprühen („Tage voller Sonne“, „Die Kraft zu Träumen“), aber auch ernste Töne, die (selbst)kritisch auf das aktuelle Zeitgeschehen blicken und reflektieren. Der Reihe nach.


Vor „Alles in Allem“: Ausflüge mit Freunden und eine Promo

Eschenbach begleiteten Stephan Weidner auf dessen Tourneen im Frühjahr und Winter 2011 als Support-Act. Während der zahlreichen Konzerte nutzte die Band die Möglichkeit, einem breiten Publikum den Zweitling näher vorzustellen und auf den Gigs, die Eschenbach quer durch Deutschland, Österreich und die Schweiz führten, zeigte sich bereits das Potenzial einiger Songs, die zu diesem Zeitpunkt noch auf den Festplatten des Studio 23 „schliefen“ und darauf warteten, endlich das Licht der Welt zu erblicken. Pünktlich zum Beginn der Wintertour Weidners entschied man sich, eine Promo-CD zu erstellen, auf denen bereits einige Songs des Albums zu hören waren, und die kostenlos an die Besucher der Konzerte verteilt wurde. Vom ersten Tag der Tour bis zum Erscheinen von „Alles in Allem“ waren es nur noch etwas mehr als sieben Wochen, und alles stand auf „go!“.

Seit dem 27.01.2012 ist es soweit: „Alles in Allem“ wartet von Euch darauf, entdeckt und gemocht zu werden.

Von Cyberwahn und Sonnentagen

„Null Eins“, der Opener, zählt den Takt an. Er treibt, geht nach vorne und vor seinem geistigen Auge kann man erahnen, wie fett dieser Track live rüberkommen könnte. Die Kritik ist berechtig, gibt genügend Stoff zum Nachdenken. Was passiert gerade in der „schönen, neuen Cyber-Welt“? Ist es wirklich nötig, dass wir unser Leben „teilen und liken“? Muss einem alles „gefallen“ und muss jeder mit jedem „befreundet“ sein? Wir merken nicht, wie allein wir sind.

„Teufel im Detail“ war bereits auf der Promo zu hören und hat einen ganz fiesen Ohrwurmcharakter. Eingängigkeit, Hitpotenzial und … nun ja.. Ohrwurmcharakter halt. Textlich geht`s etwas leichtfüßiger zu. Pathetisch? Meinetwegen, dennoch sympathisch. Hier nimmt sich keiner zu ernst, keiner hält sich für den „Härtesten“. Der „Eschenbach-Style“ definiert sich anders und wird dennoch sehr schön in den knappen drei Minuten des Songs auf die Kernessenz der Band reduziert.

„Hassliebe“ begeistert mit einem starken Refrain, „Tage voller Sonne“ ist ein harter Rocker, der thematisch lockerer und freundlich daherkommt. Hier übernimmt Philip den Gesang – ebenso auf einem weiteren Hit-Kandidaten: „Geist gegen Sucht“, der sich ebenfalls auf verdammt hohem Niveau befindet und vielen Fans bereits auf der Promo viel Freude gemacht hat, geht von den ersten Tönen direkt ins Ohr.

Kraft, Rock und Hypnose

Weitere Highlights? Gerne: „Horizont der Gnade“, „Rettet unsere Seelen“ und – ganz besonders – die beiden letzten Tracks der Platte.
„Die Kraft zu Träumen“ und „Die mit dem Nebel ziehen“ kann man schlecht mit Worten beschreiben. Sie besitzen alles und sind in ihrer Gesamtheit so etwas wie die Grundbausteine von „Alles in Allem“, die ruhigere Töne anschlagen und dennoch fesseln. Sowohl lyrisch als auch musikalisch geht es hier ganz weit nach vorne. Beide Tracks besitzen eine unheimliche (Sog-)Kraft, eine beinahe schon hypnotische Wirkung. Ganz groß.

Die bisherige Entwicklung von „Eschenbach“ ist beachtlich und der weitere Weg wird spannend sein. Mit „Alles in Allem“ wählt man die richtige Richtung; jetzt muss der Weg nur noch gegangen werden. Das Album ist vielseitig rockend. Mal düster, aber auch oft genug kraftspendend und aufmunternd. Mit den letzten beiden Stücken entlässt man den Hörer bewusst fasziniert und fragend zurück.
Riitchys und Philips Gesang ist angenehm, die Produktion wunderbar druckvoll.

Das teilweise extrem nervtötende Genre des „Deutschrock“ hat endlich sein liebstes Kind wieder. Es ist nicht still, ganz bestimmt nicht. Es stellt auch unbequeme Fragen und gibt Widerworte. Aber dennoch prophezeie ich ihm eine großartige Zukunft.

Seine Geschwister allerdings… Die nerven weiter.

Dennis Diel