Broilers: Santa Muerte

14. Juni 2011 at 16:36

Broilers: Santa Muerte

Wenn man Leute im Jahre 2011 nach den letzten großen, verbliebenen deutschen Rockbands fragt, wird man in aller Regel zwei zu hören bekommen: „Die Ärzte“ und die „Toten Hosen“. Beide Bands haben im Laufe ihrer fast dreißigjährigen Karriere Musikgeschichte geschrieben und sich stetig (und nicht immer zur Freude alter Fans) weiterentwickelt. Eine Entwicklung, die aus Provinzpunkern, die in den frühen Achtzigern noch in kleinen Szenelokalitäten in Düsseldorf und Berlin spielten, Millionäre machte und mit jeder weiteren Platinschallplatte und jedem weiterem Nummer-Eins-Album neue Anhänger dazugewann, während sich einige der unverbesserlichen „Die-Hard-Fans“ ob der immer voller werdenden Stadien und des in den Neunzigern bis zur Unausstehbarkeit überstrapazierten Punk-Status abwandten, um nach neuen, frischen und unverbrauchten Bands zu suchen.

Die „Broilers“ aus Düsseldorf sind im Jahr 2011 so etwas wie das Bindeglied zwischen alter, symphytischer Punk-Tradition, die zwar immer noch fetzt und wichtige Inhalte zwischen den verprollten „Sauf-Spiel-Spaß“ – Songs vermittelt, aber leider auch etwas Staub angesetzt hat, und dem Verlangen junger Skins und Punks nach „ehrlicher“, straßentauglicher Musik mit Szenetauglichkeit. Und weil die „Broilers“ beide Subkulturen durch haben, genug Zeit hatten, um Freunde und Fans im kurz- und bunthaarigen Sektor zu finden, sich bei Gigs und Plattencovern den Arsch aufreißen und, was nicht zu vernachlässigen wäre, gute Musik mit guten Texten schreiben, funktioniert die Band auch bei Langhaarigen und Studenten.

Mit „Santa Muerte“, dem Quasi-Nachfolger der 2007 entstandenen „Vanitas“, tritt die Band um Frontmann Sammy Amara, seines Zeichens Sänger, Songschreiber und Gitarrist in Personalunion, neue Türen ein und entwickelt sich genau dort weiter, wo es meiner Meinung nach am nötigsten war. Schon die Single „Harter Weg (Go!)“ ist ein gutes Beispiel für den Facettenreichtum der Platte und einen Sänger, der sich endlich das zutraut, was er schon auf der „Vanitas“ andeutete: singen.

Ich muss zugeben: noch vor einem Jahr interessierte mich die Band überhaupt nicht. Ich ignorierte die Platten und das hatte – neben meinem verlorenen Interesse für OI!-Musik -, vor allem einen Grund: den Gesang Sammys. Ich konnte damit nichts anfangen und es ist eher dem Zufall geschuldet, dass ich irgendwann die „Vanitas“ an einem Stück durchhörte und dabei anfing, meine eigenen Vorurteile über den Haufen zu werfen.

Die Texte auf der „Santa Muerte“ sind groß. Sie sind mal verschachtelt, klar, fordernd und einfach. Die Songs? Sommer, gute Laune, Strand („Harter Weg (Go!)“; „33 RPM“, „Tanzt du noch einmal mit mir?“). Aber nicht immer. Zwischendurch gewinnt auch die Melancholie („Verdammte Stille“) und der Blick aus einem dreckigen Fenster lässt einen nachdenklich zurück. Ich liebe getragene, hymnenhafte Punksongs mit einer melancholischen Grundausrichtung und ich finde „Verdammte Stille“ großartig. Vielleicht einer der besten Broilers-Songs aller Zeiten. Sammy singt, erwähnte ich das bereits? Seine Stimme ist – neben der sauberen und arschtretenden Produktion von Vincent Sorg („Die Toten Hosen“) -, mein größter Pluspunkt der Platte.
Das Artwork ist natürlich über jeden Zweifel erhaben und die Schwarzweiß-Fotografien, die als guter Kontrast zu der eher sommerlichen Farbgebung des Artworks stehen, sehen fantastisch aus.

Gut möglich, dass der Band mit diesem Album der kommerzielle Durchbruch gelingt und „Santa Muerte“ bandhistorisch so wichtig wird, wie für die „Böhsen Onkelz“ 1992 die „Heilige Lieder“, oder für die „Toten Hosen“ 1988 die „Ein kleines bisschen Horrorschau“. Zu wünschen wäre es ihnen.
Auch wenn die politische Ausrichtung der Band seit vielen Jahren mehr als eindeutig ist, gab es in der Vergangenheit immer wieder Leute, die Sammy, Andi und Co aufgrund ihrer Skinhead-Vergangenheit und dem Fakt, dass früher „klassischer“ OI! gespielt wurde, gemieden haben. Auch deren Zweifel dürften sich spätestens(!) mit dem neuen Album erledigt haben, denn neben in Textzeilen verarbeitete Vergangenheit, schließt eine Ankündigung der „Toten Hosen“ auf deren Webseite und Facebook-Profil den Kreis der „Broilers“ zu ihrer Heimatstadt und Verbundenheit zu den Hosen: Sammy, Andi (Schlagzeug), Ines (Bass), Christian (Piano u.w.) und Ronald (Gitarre) werden seit kurzem managementtechnisch von JKP betreut – dem Management der… Bingo!

„Santa Muerte“ ist Musik zum Genießen. Rock`n`Roll, Punk, Ska und ganz viel Gefühl. Ehrliche Texte, die so viel mehr sind, als sie auf den ersten, flüchtigen Blick scheinen und vor allem ist das Album eins: das wirksamste Gegengift zum ekelhaften Trend des aufkeimenden „Deutsch-Rock“, der in seinen Aussagen und in seiner Attitüde so austauschbar ist, wie die Gewinner der bohlenschen Castingshows.

Fazit: Kaufen.
Broilers: Santa Muerte (VÖ: 10.06.2011, People Like You Records, Management: JKP, www.broilers.de)

PS: Die Band geht in Bälde auf die („Welcome to Santa Muerte“) Tour und jedem, der die Platte hat und gut findet, kann ich nur wärmstens empfehlen, hinzugehen.

Tourdates:
15.06.2011, Köln, E-Werk

16.06.2011, Hamburg, Docks

17.06.2011, Lichtenfels (Waldstadion), Motörhead Open Air

22.07.2011, Cuxhaven, Deichbrand Open Air

23.07.2011, Bad Doberan, Searock Festival

13.08.2011, Püttlingen, Rocco-del-Schlacko Festival

13.10.2011, Solothurn (CH), Kofmehl

14.10.2011, Zürich (CH), Dynamo

15.10.2011, Neu-Isenburg, Hugenottenhalle

18.10.2011, Karlsruhe, Substage

19.10.2011, Nürnberg, Löwensaal

20.10.2011, Wien (A), Arena

21.10.2011, Linz (A), Posthof

22.10.2011, Leipzig, Haus Auensee

27.10.2011, Münster, Skaters Palace

28.10.2011, Hannover, Capitol

29.10.2011, Berlin, Huxleys

30.10.2011, Magdeburg, Factory

31.10.2011, München, Tonhalle

Über den Autor:
Dennis Diel

Dennis Diel ist einer der Moderatoren im offiziellen Der W – Forum und war 2009 und 2011 einer der Tourtagebuch-Autoren. Er hat für uns diese Rezension verfasst. Wir bedanken uns bei Dennis für diesen tollen Gastartikel!

PS: Schon gelesen?: Dennis über die Autonomie!